Mitteilung – zur Kenntnisnahme –

 

 

Therapeutische Versorgung schwerstmehrfach behinderter Kinder

in den Schulen sicherstellen

 

Drucksachen Drucksachen Nrn. 14/1013, 14/1427, 15/82 und 15/634 – Schlussbericht –

 

 

 

 

 

Der Senat legt nachstehende Mitteilung dem Abgeordnetenhaus zur Besprechung vor:

 

 

Das Abgeordnetenhaus hat in seiner Sitzung am 12. Juli 2001 Folgendes beschlossen:

 

„Der Senat wird aufgefordert, dem Abgeordnetenhaus bis zum 31. Dezember 2001 ein Konzept vorzulegen, wie die für die Beschulung schwerstmehrfachbehinderter Kinder notwendige therapeutische und behandlungspflegerische Versorgung an den Berliner Schulen für Behinderte in öffentlicher und freigemeinnütziger Trägerschaft künftig bedarfsgerecht gewährleistet werden kann.

 

Dabei sind die in der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – , Drs. 11/432, im Jahre 1989 für die damalige Bedarfssituation in bestehenden Fördereinrichtungen festgelegten Standards neu zu definieren und dabei an die neuen Rahmenbedingungen des 1990 geänderten Schulgesetzes anzupassen.“

 

Hierzu wird berichtet:

 

Die Maßnahmen der therapeutischen Versorgung schwerstmehrfach behinderter Kinder und Jugendlicher in den Schulen stehen in engem Zusammenhang mit den Zielsetzungen des Senats von Berlin zur schulischen Integration und gesellschaftlicher Teilhabe der Menschen mit Behinderung.

 

Für eine ganzheitliche Förderung dieses Personenkreises sind folgende Aspekte von Bedeutung:

 

Integration in Kindertagesstätten

 

Gemäß § 24 SGB VIII besteht vom vollendeten dritten Lebensjahr an ein Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens.


 


Für Kinder unter drei Jahren sind Plätze in Tageseinrichtungen nach Bedarf vorzuhalten. Gleiches gilt für Kinder im schulpflichtigen Alter. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben auf ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen hinzuwirken. Für Kinder mit Behinderungen besteht zusätzlich auf der Grundlage des § 39 BSHG ein Anspruch auf Eingliederungshilfe. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen gemäß § 40 Abs.1 BSHG Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX.

Im Land Berlin wird der Anspruch auf einen Kindergartenplatz sowie die bedarfsgerechte Bereitstellung von Plätzen in Tageseinrichtungen auf der Grundlage des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege - Kindertagesbetreuungsgesetz [KitaG i.d.F. vom 4. September 2002] erfüllt.

 

Ausdruck einer kontinuierlichen Politik des Senats von Berlin zur Schaffung von organisatorischen Voraussetzungen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Integration behinderter Kinder sind insbesondere die §§ 5 und 11 dieses Gesetzes. Nach § 5 Abs. 1 KitaG haben behinderte Kinder Anspruch auf Aufnahme in eine Tageseinrichtung, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung. Mit diesem Anspruch korrespondiert die Verpflichtung der jeweiligen Tageseinrichtung, behinderte Kinder aufzunehmen. Nach § 5 Abs. 2 KitaG sind behinderte Kinder üblicherweise in Integrationsgruppen gemeinsam mit anderen Kindern zu betreuen, d.h. die Betreuung in einer Integrationsgruppe stellt den Regelfall der Betreuungsform für behinderte Kinder dar.

 

Es müssen demnach besondere Gründe vorliegen, wenn von dieser Betreuungsform abgewichen wird. Diese Grundaussage wird auch in § 5 Abs. 3 Kita-Gesetz bestätigt, wenn von "besonderen Gruppen für Kinder mit Behinderungen" gesprochen wird, also der Abweichung vom Normalfall der Integration gemäß § 5 Abs.1, zum Beispiel auf ausdrücklichen Elternwunsch. Sondergruppen sind nach Möglichkeit in allgemeinen Kindertagesstätten einzurichten [§ 5 Abs.3 KitaG]. (Heil-)pädagogische und therapeutische Hilfen zur Eingliederung sollen sowohl in Integrations- als auch in Sondergruppen in die Arbeit der Kindertagesstätte integriert werden.

 

§ 35 a Abs. 3 SGB VIII unterstreicht ausdrücklich den Gedanken integrativer Erziehung, indem formuliert ist: "Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen, als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind (heil-) pädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam betreut werden." Entsprechend § 11 KitaG wird für Integrationsgruppen zusätzliches pädagogisches Personal bereitgestellt. Dadurch soll die aufgrund des besonderen Förderbedarfs notwendige ergänzende pädagogische bzw. heilpädagogische Hilfe sichergestellt werden.

 

§ 5 KitaPersVO regelt die zusätzliche Ausstattung von Integrationsgruppen mit pädagogischem Fachpersonal.

 

Anspruchsgrundlage für die zusätzliche Ausstattung mit pädagogischem Fachpersonal ist der Nachweis der Zuordnung des Kindes zum Personenkreis § 39 BSHG bzw. § 35a SGB VIII.

 

Entsprechend § 5 Abs. 3 KitaG sind besondere Gruppen für Kinder mit Behinderungen, so­weit sie erforderlich sind und die Eltern eine solche Betreuung für ihr Kind wün­schen, nach Möglichkeit in allgemeinen Kindertagesstätten einzurichten. Diese Formulierung im KitaG unter­stützt den Ansatz integrativer Erziehungsformen dahingehend, dass Sondergruppen zu­mindest in räumlicher Nähe und in Verbindung mit Regelgruppen geführt werden sollen. Eine Differenzierung von Sondergruppen nach der Art der Behinderung (körperlich, geistig, seelisch) wird aus fachlicher Sicht nicht für sinnvoll gehalten.

 

Schulische Integration

 

Rechtliche Grundlage der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Berlin ist § 10a des Schulgesetzes für Berlin.

Diese gesetzliche Regelung wurde bereits 1990 als Ergebnis einer längeren Erprobung des gemeinsamen Unterrichts verabschiedet. Dem Abgeordnetenhaus liegt gegenwärtig ein Gesetzentwurf des Senats zur Änderung des Schulgesetzes zur Beratung und Beschlussfassung vor, der auch die Vorschrift des § 10 a betrifft.

 

Die Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik Deutschland hat in der Folge ähnlicher Entwicklungen in den anderen Bundesländern am 6. Mai 1994 beschlossen, dem „gewandelten pädagogischen Selbstverständnis“ auf dem Gebiet der sonderpädagogischen Förderung Rechnung zu tragen. Sie hat sich grundsätzlich dafür ausgesprochen, die Bildung und Erziehung behinderter Kinder und Jugendlicher verstärkt als gemeinsame Aufgabe für alle Schulen anzustreben. Ziel müsse es sein, die Bemühungen um gemeinsame Erziehung und gemeinsamen Unterricht zu unterstützen.

In den von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Empfehlungen wird zu den Zielen und Aufgaben sonderpädagogischer Förderung folgendes dargelegt:

 

„Sonderpädagogische Förderung soll das Recht der Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohten Kinder und Jugendlichen auf eine ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung verwirklichen. Sie unterstützt und begleitet diese Kinder und Jugendlichen durch individuelle Hilfen, um für diese ein möglichst hohes Maß an schulischer und beruflicher Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbständiger Lebensgestaltung zu erlangen.“

 

Diese Empfehlungen haben auch für Berlin richtungsweisenden Charakter.

 

Voraussetzung für die Integration der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der allgemeinen Schule ist das Vorhandensein der erforderlichen personellen, sächlichen und räumlichen Voraussetzungen.

 

Für die institutionellen Formen der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit schweren Mehrfachbehinderungen müssen Leistungen der ergänzenden Pflege und Hilfe sowie der medizinischen und therapeutischen Versorgung integraler Bestandteil eines ganzheitlichen Förderkonzepts sein.

 

Somit gilt zusammenfassend, dass im Rahmen der vorschulischen und schulischen Förderung entsprechend der speziellen Bedarfslage der Kinder und Jugendlichen diese angepassten ergänzenden nichtpädagogischen Leistungen benötigt werden.

 

Zu diesen ergänzenden medizinischen und therapeutischen Leistungen gehören zum einen die Leistungen der Behandlungspflege und zum anderen therapeutische Maßnahmen durch Physio-, Ergotherapeuten und Logopäden.

 

 

I        Behandlungspflege

 

I.1     Problemdarstellung

 

Auf Grund der Vorschriften des SGB V haben die Versicherten gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Behandlungspflege (z. B. Absaugen der oberen Luftwege, Dekubitusbehandlung, Digitale Enddarmausräumung, Katheterisierung der Blase, Medikamentengabe, usw.) in ihrem Haushalt oder ihrer Familie, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

 

 

Da die Institutionen Kindertagesstätte und Schule nach dem Wortlaut des § 37 (Häusliche Krankenpflege) SGB V nicht als Häuslichkeit interpretiert wurden, haben die Krankenkassen mit Beginn des Schuljahres 2000/2001 die Kosten für die Behandlungspflege nicht mehr übernommen.

 

Bedingt durch diese Notlage wurde die Behandlungspflege entgegen fachlicher Vorgaben in der Praxis zum überwiegenden Teil von Lehrkräften, Erziehern und/oder Therapeuten aber auch von Eltern sowie in geringem Umfang von Sozialstationen durchgeführt. Dadurch wäre die Durchführung der Behandlungspflege in Kindertagesstätten und Schulen zwar vom Grundsatz her gewährleistet, allerdings in unzureichendem Umfang und fachlich unbefriedigend.

 

Wegen der ablehnenden Haltung der Krankenkassen hatte die für Soziales zuständige Senatsverwaltung mit Beginn des Schuljahres 2000/2001 die Bezirksämter durch Rundschreiben gebeten, die Kosten zur Deckung des notwendigen Bedarfs der Behandlungspflege in Kindertagesstätten und Schulen als vorläufige Hilfeleistung auf der Grundlage des § 44 in Verbindung mit den §§ 39, 40 BSHG zu übernehmen. Diese Regelung hat jedoch zur Folge, dass die Eltern seither nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen zu den Kosten der Maßnahme herangezogen werden.

 

I.2     Rechtsprechung

 

Nunmehr hat das Bundessozialgericht in Parallelentscheidungen am 21. November 2002 – B 3 KR 6/02 R und B 3 KR 13/02 R – klargestellt, dass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder seiner Familie als Leistungsort begrenzt ist, wie die Krankenkassen meinten. Vielmehr müssen die medizinisch erforderlichen Maßnahmen von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, die bei vorübergehenden Aufenthalten außerhalb der Familienwohnung anfallen, wenn sich der Ver-sicherte ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw. in seiner Familie aufhält und dort seinen Lebensmittelpunkt hat.

 

Da die Kindertagesstätten und die Schule keinen Lebensmittelpunkt des Betroffenen darstellen, müssen die Kosten für die Behandlungspflege von den Krankenkassen getragen werden.

 

Da jetzt eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der angesprochenen Rechtslage vorliegt, ist eine Vorleistung des Trägers der Sozialhilfe nicht mehr notwendig und auch nicht mehr rechtlich zulässig, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 BSHG nicht mehr erfüllt sind.

 

Aus diesem Grunde wird die für Soziales zuständige Senatsverwaltung ihr vorgenanntes Rundschreiben aufheben und die Bezirke bitten, sich die als Träger der Sozialhilfe vorgeleisteten Kosten für die Behandlungspflege in Kindertagesstätten und Schulen erstatten zu lassen.

 

Die Eltern erhalten die Eigenanteile an der Behandlungspflege von den Krankenkassen nur erstattet, wenn sie gegen den Ablehnungsbescheid fristgemäß ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf eingelegt haben.

 

Obwohl durch diese Rechtsprechung die Kostenträgerschaft für die Behandlungspflege in den Kindertagesstätten und den Schulen geklärt ist, könnte die Durchführung des Einmalkatheterisierens in diesem Bereich möglicherweise ein Problem darstellen. Nach den Richtlinien des Bundes-ausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von „häuslicher Krankenpflege“ nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V (Häusliche Krankenpflege-Richtlinien) in der Fassung vom 16. Februar 2000 ist das Einmalkatheterisieren eine ärztliche Leistung, kann also von Ärzten nicht delegiert werden.

 

Dennoch ist diese medizinisch notwendige Leistung auch in den Kindertagesstätten und Schulen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung sicherzustellen. Über die Umsetzung der Rechtsprechung durch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin liegen noch keine Erfahrungen vor.

 

Der Träger der Sozialhilfe ist nachrangig nach der gesetzlichen Krankenversicherung leistungsverpflichtet. Ihm ist es rechtlich verwehrt, die Leistungsdisposition des vorrangigen Sozialleistungsträgers zu ersetzen.

 

I.3     Bedarf

 

Über den Umfang an behandlungspflegerischen Leistungen wurde erstmalig für das Schuljahr 2001/2002 an den öffentlichen und privaten Sonderschulen eine Erhebung durchgeführt. Diese ergab, dass von den insgesamt 13.199 Schülern an den öffentlichen Sonderschulen 674 (5,1 %) behinderte Kinder und von den insgesamt 570 Schülern an den privaten Sonderschulen 110 (19,3 %) behinderte Kinder behandlungspflegerischer Leistungen bedürfen. Im Einzelnen stellt sich der Bedarf wie folgt dar:

 

Tabelle 1: Umfrage zur Behandlungspflege an öffentlichen und privaten Schulen[1]

 

 

 

Anzahl der Einsätze

 

Anzahl der Einsätze je Schultag bezogen auf die Schüler mit behandlungspflegerischem Bedarf

 

an öffentlichen Sonderschulen

 

an privaten Sonderschulen

 

insgesamt

 

1 x täglich

 

362

 

51

 

413

 

2 x täglich

 

205

 

28

 

233

 

3 x täglich

 

107

 

31

 

138

 

insgesamt

 

674

 

110

 

784

 

[1] Zu Grunde gelegt wurden die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von „häuslicher Krankenpflege“ nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V (Häusliche Krankenpflege-Richtlinien) in der Fassung vom 16.02.2000

 

I.4     Kosten

 

Um die Gesamtkosten der behandlungspflegerischen Leistungen bezogen auf das Jahr 2001 darstellen zu können, wurde der Rahmenvertrag gemäß § 132 a Abs. 2 SGB V über die Gewährung häuslicher Krankenpflege vom 5.7.1999 bzw. die zu diesem Vertrag zwischen der AOK und den Verbänden der Leistungserbringer abgeschlossene Vergütungsvereinbarung vom 12.4.2000 zur Grundlage genommen. Zur Ermittlung der Kosten wurden dabei die in der Vergütungsvereinbarung enthaltenen Einsatzpauschalen für die häusliche Krankenpflege herangezogen.

 

Da der o.g. Vertrag von den Krankenkassen zum 31.12.2001 gekündigt worden ist, können die Einsatzpauschalen jedoch nur als sachgerechte Orientierungswerte bzw. Rechengrößen in die Kostenbetrachtung einbezogen werden. Auf der Basis des Jahres 2001 stellen sich die Kosten der Behandlungspflege somit wie folgt dar:

 

Tabelle 2: Kosten der Behandlungspflege im Schulbereich nach Tagessätzen

 

 

Anzahl der Einsätze

Einsatzpauschale

(Euro)

 

Kosten der Einsätze je Schultag*

 

 

an öffentlichen Sonderschulen

(Euro)

an privaten Sonderschulen

(Euro)

1 x täglich

14,44 €

5.227 €

  736 €

2 x täglich

27,24 €

5.582 €

  762 €

3 x täglich

39,99 €

4.279 €

1.240 €

In der nachfolgenden Tabelle wurden die sich aus Tabelle 2 ergebenden täglichen Kosten mit der Anzahl der Tage multipliziert, die bei einer ganzjährigen Versorgung anzunehmen sind. Unter Abzug der Wochenenden, Schulferien und Feiertage war der Bedarf für 199 Tage anzunehmen.

 

Tabelle 3: Jährlicher Gesamtfinanzierungsbedarf für die Behandlungspflege an Sonderschulen und Kindertagesstätten

 

Einrichtung

Gesamtkosten 2001

 

Kindertagesstätten*

   747.739 €

öffentliche

Sonderschulen

3.002.512 €

private Sonderschulen

   544.862 €

insgesamt

4.295.113 €

 

* Berechnung analog zum Schulbereich (5,1% der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nahmen Leistungen der Behandlungspflege in Anspruch) allerdings mit dem Unterschied, dass für Kinder in Kindertagesstätten auf Grund der kürzeren täglichen Verweildauer bei 50% 1Einsatz pro Tag und bei 50% 2 Einsätze pro Tag erforderlich sind.

 

II       Medizinisch-therapeutische Versorgung in Kindertagesstätten und Schulen

 

II.1    Ausgangslage

 

Gesetzlich Krankenversicherte haben grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln sowie auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Die Gewährung von medizinisch-therapeutischen Leistungen (Heilmitteln) setzt in der Regel die Verordnung durch einen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) voraus.

 

Mit dem am 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wurden die Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zugeordnet und als Komplexleistung zusammengefasst (§ 30 SGB IX). Leistungen der Früherkennung/Frühförderung, die durch Einrichtungen nach § 30 SGB IX (interdisziplinäre Frühförderstellen) erbracht werden, umfassen auch die mobile medizinisch-therapeutische Versorgung in der Familie oder der Kindertagesstätte. Die Gewährung der Komplexleistung muss beim Rehabilitationsträger beantragt werden. Sie ist beschränkt auf Kinder, die noch nicht eingeschult sind, in der Regel bis zum sechsten Lebensjahr.

 

Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) wirkt gemäß § 22 Abs. 5 Gesundheitsdienst-Gesetz (GDG) an der sozialpädiatrischen Versorgung mit. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt gemäß § 22 Abs. 6 und § 1 Abs. 2 GDG subsidiär. Mit seinem medizinisch-therapeutischen Leistungsangebot kommt der ÖGD auch dem gesetzlichen Auftrag der sozialkompensatorischen Sicherstellung der vorbeugenden und nachgehenden Gesundheitshilfe gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GDG nach.

 

Der therapeutische Bedarf wird in Berlin durch die Leistungsbereitstellung verschiedener Anbieter gedeckt. In Einzelfällen werden medizinisch-therapeutische Leistungen bei im Rahmen der Kindertagesstätten- oder Schulbetreuung behandlungsbedürftigen Kindern durch niedergelassene Therapeuten erbracht, die z.T. über einen Praxisraum in der Betreuungseinrichtung verfügen. Die Leistungen werden mit den Krankenkassen abgerechnet. Behinderte Kinder in den öffentlichen Sonderschulen werden ganz überwiegend, Kinder in städtischen Kindertagesstätten hauptsächlich im Westteil Berlins von medizinisch-therapeutischen Fachkräften der Gesundheitsämter behandelt. Die erbrachten Leistungen werden auf der Grundlage einer seit langem bestehenden Vereinbarung zwischen den Krankenkassenverbänden in Berlin und der für Gesundheit zuständigen Senatsverwaltung von den Krankenkassen mitfinanziert. Die privaten Sonderschulträger haben Therapiefachkräfte selbst angestellt und erhalten aus öffentlichen Mitteln einen Zuschuss zu den Personalkosten.

 

Die wohnort- und familiennah arbeitenden Kinder- und Jugendambulanzen/Sozialpädiatrische Zen-tren (KJA/SPZ) erbringen für die von niedergelassenen Ärzten überwiesenen Kinder auch Leistungen der Früherkennung/Frühförderung gemäß § 30 SGB IX sowie i.S. des § 5 KitaG ergänzende heilpädagogische Förderung und Heilmittel in der Kindertagesstätte. Die KJA/SPZ betreuen im Ostteil Berlins alle Kindertagesstätten, im Westteil Berlins die Kindertagesstätten in freier Trägerschaft. Für die Behandlungsleistungen bei überwiesenen Kindern zahlen die Krankenkassen pauschalierte Entgelte.

 

II.2    Bedarf

 

Behinderte Kinder und im besonderen Maß schwer und mehrfach behinderte, sind auf physio- und ergotherapeutische und/oder logopädische Behandlungen im Rahmen der Schule oder Kindertagesstättenbetreuung angewiesen, weil ihnen ohne diese Unterstützung die Wahrnehmung ihrer sozialen Rechte der altersgemäßen Integration nicht möglich wäre oder zusätzliche Wege zu ambulanten Behandlungen nicht zumutbar sind und eine wirksame Therapie unter aktiver Mitwirkung des Kindes oder Jugendlichen nur sinnvoll in die Tagesbetreuung in den Einrichtungen zu integrieren ist.

 

Der Umfang medizinisch-therapeutischer Leistungen in den Einrichtungen durch den ÖGD und die KJA / SPZ wurde in einer Umfrage in den Kindertagesstätten und Schulen (1999/2000) ermittelt.

 

Die Ergebnisse der in dieser Art erstmaligen Erhebungen wurden im Juli 2001 durch den ÖGD des jeweiligen Bezirks überprüft und bestätigt (tabellarische Übersichten s. Anlagen 1 bis 3).

 

II.2.1 Kindertagesstättenbereich

 

Kita-Plätze insgesamt                  67.362

(ohne Krippe und Hort)

 

davon auf Plätzen in

integrativen oder

besonderen Gruppen                   3.037

 

Von den 3.037 Kindern erhielten 2.135 Kinder in der Kita therapeutische Leistungen (70,3%); 902 Kinder keine Behandlung in der Kita (29,7%)

 

Demnach werden behinderte Kinder, die auf der Grundlage ihrer Zuordnung zu § 39 BSHG bzw. § 35a SGB VIII eine (heil)pädagogische Unterstützung durch zusätzliche Stellenausstattung (0,25 bzw. 0,5 Stelle je Kind) erhalten, auch zu 70,3% medizinisch-therapeutisch versorgt.

 

Für 29,7% wurde keine therapeutische Versorgung bereitgestellt, weil entweder kein Behandlungsbedarf im Rahmen der Kita-Betreuung bestand, die Behandlung außerhalb der Kita stattfand oder die verfügbaren Kapazitäten nur für dringendsten Behandlungsbedarf eingesetzt werden konnten.

 

Von den 2.135 in Kindertagesstätten behandelten Kindern versorgten die Therapeuten des ÖGD 1.077 Kinder (50,4%) und die Therapeuten der KJA / SPZ 1.058 Kinder (49,6%).

 

Erhoben wurde die in den Einrichtungen geleistete Wochenstundenzahl der Therapeuten der Fachrichtungen Physiotherapie (Krankengymnastik), Logopäde, Ergo- / Beschäftigungstherapie und Musiktherapie. Auf der Grundlage dieser Angaben wurde die Zahl eingesetzter Therapeutenstellen ermittelt:

 

Therapeutenstellen insgesamt für 2.135 Kinder 79.97,davon beim ÖGD 53.95 und bei den KJA/SPZ 26.02.

 

Bei einem anzustrebenden durchschnittlichen Verhältnis von 1 Therapiefachkraft für 25 Kinder errechnet sich ein Mehrbedarf von 5 Vollzeitstellen[2].

 

II 2.2 Schulbereich

 

Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf

 

insgesamt                            19.854

davon in Sonderschulen  14.656

in Integrationsmaßnahmen                                                                                                                                           5.198

 

 

Anzahl der therapeutisch versorgten Schülerinnen und Schüler in den Schulen

 

Insgesamt                             3.938

Durch den ÖGD                   2.907

durch die KJA/SPZ                  31

 

Die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht konnten aus organisatorischen Gründen bei der Erhebung der therapeutischen Versorgung keine Berücksichtigung finden, werden aber bei den geplanten regelmäßigen Folgeerhebungen einbezogen.

 

Die Therapiemaßnahmen in den Bereichen Physiotherapie (Krankengymnastik), Logopädie, Ergo- /Beschäftigungstherapie und Musiktherapie führten zu 91% Fachkräfte des ÖGD und zu 9% Fachkräfte der KJA/ SPZ durch.

 

Auf der Grundlage dieser Angaben wurde die Zahl eingesetzter Therapeutenstellen ermittelt:

 

Therapeutenstellen insgesamt

für 3.938 Schulkinder         (~ 104) 103,8

 

davon vom ÖGD                      95,0

von den KJA/ SPZ                    1,2

 

Therapeuten bei den  privaten  Sonderschulen 7,6

 

Im Ergebnis der an Schulen durchgeführten Umfrage zum Umfang der therapeutischen Versorgung und in Übereinstimmung mit Erfahrungswerten bedürfen rund 20% der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Sonderschulen medizinisch-therapeutischer Unterstützung. Hierbei variiert die Betreuungsintensität individuell zwischen phasenweiser Behandlungsnotwendigkeit und dauerhaft täglicher Therapie.

 

Anzahl der durch den ÖGD therapeutisch versorgten Schülerinnen und Schüler in den Schulen und die dafür eingesetzten Therapeutenstellen:

 

 

Sonderschulen

 

Schüler insgesamt

 

davon in der Schule therapeutisch versorgt

 

Anzahl der Therapeutenstellen

 

 

insgesamt

allgemeine Therapie

FÖ 1 *

FÖ 2 *

 

Geistigbehinderte

1.957

1207

262

438

507

40

Körperbehinderte

1.010

674

522

71

81

22

Sehbehinderte

126

125

98

6

21

4

Blinde

95

67

16

9

42

2

Gehörlose

193

32

8

16

8

1

sonstige Sonderschulen

10.278

802

802

0

0

26

Insgesamt

13.659

2907

1708

540

659

95

 

* FÖ 1 schwerst Behinderte, FÖ 2 schwerstmehrfach Behinderte

 

Bei der derzeitigen Versorgung entfallen auf jedes Kind im Durchschnitt 1,26 Stunden therapeutische Arbeitszeit pro Woche. Diese Zeit beinhaltet neben der reinen medizinischen Therapie u.a. auch die Beratung von Eltern und Erziehern, Teamarbeit, Dokumentation usw.

 

Durchschnittlich müssen 28 Kinder und Jugendliche von 1 vollzeitbeschäftigten Therapiefachkraft versorgt werden. Wird ebenso wie im Bereich der Kindertagesstättenbetreuung ein Verhältnis von 25 Kindern und Jugendlichen pro 1 Therapeutenstelle angestrebt, ergibt sich ein Mehrbedarf an insgesamt 14 Vollzeitstellen bzw. ein finanzieller Aufwand von 576.870 €[3].

 

Würden für die Berechnung der erforderlichen Personalkapazität auch die 1989 in der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – über Beschulung von schwerstmehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen, Drsn 11/ 432 veröffentlichten Standards berücksichtigt, so ergäbe sich folgender Mehrbedarf:

 

-     - Schülerinnen und Schüler mit allgemeiner Therapie Therapeutenschlüssel 1/25

7 Stellen                               288.435 €

 

- Schülerinnen und Schüler mit schwersten Behinderungen (FÖ 1), Therapeutenschlüssel 1/15

17 Stellen                             700.485 €

 

- Schülerinnen und Schüler mit schwerstmehrfachen Behinderungen (FÖ 2), Therapeutenschlüssel 1/10

41 Stellen   1.689.405 €

 

Diese für die damalige Bedarfssituation in bestehenden Fördereinrichtungen festgelegten Standards wurden zwar auf die Förderstufen 1 und 2 im Schulbereich übertragen, jedoch nicht erreicht.

 

II.2.3 Private Sonderschulen

 

In den vier privaten Sonderschulen (in den Bezirken Pankow, Steglitz-Zehlendorf, Spandau) wurden im Jahr 2000 insgesamt 362 behinderte Kinder und Jugendliche sonderpädagogisch gefördert, von denen 187 schwerst und mehrfachbehinderte in der Schule medizinisch-therapeutisch versorgt wurden.

 

Da die Therapeuten des ÖGD nicht in privaten Einrichtungen eingesetzt werden und eine Mitversorgung mit den zur Verfügung stehenden Therapeutenstellen in den jeweiligen Bezirken auch nicht möglich wäre, beschäftigen die Träger der privaten Sonderschulen selbst medizinische Fachkräfte, deren Finanzierung aus öffentlichen Mitteln bezuschusst wird. Die Krankenkassen beteiligen sich nicht an den Kosten der medizinisch-therapeutischen Leistungen, die von bei den Schulträgern angestellten Therapeuten erbracht werden.

 

In 2002 erhielten die Schulen Zuwendungen aus dem Liga-Vertrag in folgender Höhe:

 

Stephanus-Schule            60.588,09 €         2,5 Stellen

 

August-Hermann-

Franke-Schule                   48.572,73 €         2,25 Stellen

 

Heilpädagogisches

Therapeutikum                 69.024,40 €         1,8 Stellen

 

Sancta-Maria-

Schule                                16.872,63 €         1 Stellen

 

Insgesamt 195.057,85 €    (7,55 Stellen) ~ 7,6 Stellen

 

Die mit diesen Mitteln finanzierten therapeutischen Fachkräfte können die Versorgung aller behinderten Kinder und Jugendlichen in den privaten Sonderschulen nicht in vollem Umfang sicherstellen.

 

 

III Zusammenfassung und Perspektive

 

Mit den Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Kostentragung der Behandlungspflege in Kindertagesstätten und Schulen wurde die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt. Die Sicherstellung der Behandlungspflege liegt in der Zuständigkeit der gemeinsamen Selbstverwaltung der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin. Für den Senat besteht hier derzeit kein weiterer Handlungsbedarf.

 

Nach den erhobenen Angaben zur medizinisch-therapeutischen Versorgung behinderter Kinder und Jugendlicher im Rahmen der Kindertagesstättenbetreuung und der Schule entsprechen die eingesetzten Kapazitäten an Therapiefachkräften im Durchschnitt nahezu dem eingeschätzten Gesamtbedarf.

 

Dieser an Hand des zu Grunde gelegten Verhältnisses von 1 Therapiefachkraft zu 25 Kindern errechnete Personalbedarf schließt die je nach Schweregrad der Behinderung unterschiedlich intensiven Behandlungserfordernisse ein. Das höhere Behandlungsbedürfnis schwerst und mehrfach behinderter Kinder und Jugendlicher ist bei der Verteilung der insgesamt zur Verfügung stehenden Personalressourcen zu berücksichtigen.

 

Zu einer besseren Anpassung der vorhandenen Ressourcen an die Versorgungsbedürfnisse dieses Personenkreises sieht der Senat folgende Ansatzmöglichkeiten:


 

 

Ø         Behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder im Vorschulalter, die einen komplexen Versorgungsbedarf i. S. von § 30 SGB IX haben, sind grundsätzlich und mit kooperativer Unterstützung der Gesundheitsämter über die niedergelassenen Kinderärzte in die wohnortnah arbeitenden Kinder- und Jugendambulanzen/Sozialpädiatrische Zentren zu vermitteln.

 

Ø         Eine Verbesserung der Versorgungssituation in den öffentlichen Sonderschulen sollte durch Umschichtungen beim Einsatz des therapeutischen Personals des öffentlichen Gesundheitsdienstes ermöglicht werden.

 

Ø         Zur Verbesserung der Versorgungssituation in privaten Sonderschulen wird die Anbindung der bei diesen Schulen beschäftigten Therapeuten an eine örtlich nahe gelegene Kinder- und Jugendambulanz/Sozialpädiatrisches Zentrum empfohlen, um den Krankenkassen die Beteiligung an den Behandlungskosten für die bei ihnen versicherten Kinder zu ermöglichen.

 

Im Zusammenhang mit dem begonnenen Projekt zur Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Umsetzung von § 30 SGB IX wird der Senat diese Ansätze im Sinne einer Gesamtkonzeption für ein koordiniertes Versorgungssystem weiterverfolgen.

 

Wir bitten, den Beschluss damit als erledigt anzusehen.

 

 

Berlin, den 2. September 2003

 


 

Der Senat von Berlin

 

Klaus   Wowereit

Regierender Bürgermeister

Dr. Heidi   Knake–Werner

Senatorin für Gesundheit,

Soziales und Verbraucherschutz

 

 

Ausschuss-Kennung : GesSozMiVergcxzqsq

 



* Berechnung der Kosten: Anzahl der Einsätze aus Tabelle 1 multipliziert mit der korrespondierenden Einsatzpauschale

[2] Das angegebene durchschnittliche Verhältnis von 1 Therapeut zu 25 Kindern beruht auf bundesweiten Erfahrungswerten sozialpädiatrischer Institutionen.

[3] Der mittlere Durchschnittssatz für die in die Vergütungsgruppen BAT Vc/Vb eingruppierten Therapeuten liegt bei 41.205 €.